Erik Fosnes Hansen ist vor wenigen Jahren ein Roman gelungen, der einerseits unglaublich unterhaltsam und kurzweilig ist, andererseits aber mit großem Ernst Probleme und Verwerfungen unserer Zeit thematisiert. Vielleicht ja genau die richtige Lektüre für einen langen Winterabend…
Ein überraschender Todesfall, ein einst mondänes Hotel, eine Geschichte vom langsamen Verfall.
Der Autor weiss, wovon er schreibt. Gut möglich, dass er seinen Vater, einen Reisebüromanager der Norwegischen Staatsbahnen, als Jugendlicher auf einer seiner Besichtigungstouren von Hotel zu Hotel begleitet hatte. Dass er dabei sah, wie sich das Reiseverhalten der Norweger in den 70er und 80er Jahren auf einmal änderte: Fernreisen, statt traditionsreicher Grandhotels in der norwegischen Provinz. Lanzarote, statt Larkollen oder Lyngdal.
Fåvnesheim ist eines dieser geschichtsträchtigen Grandhotels, das die volle Härte der (neuen) wirtschaftlichen Realität zu spüren bekommt. Man hängt am Alten, man arbeitet mit einer Mischung aus grandezza und sprezzatura, man pflegt die Tradition, wofür Direktor Zacchariassens Gattin und deren österreichische Herkunft geradezu sinnbildlich stehen. Aber jetzt muss gespart werden.
Die Welt verändert sich fortdauernd und die Menschen versuchen, damit umzugehen. Und dann kommt es zu den Momenten der großen Veränderungen…
„Sie waren gerade beim Kuchen angelangt, da sackte Bankdirektor Berge am Tisch zusammen und fing an zu sterben.“ Wer Karl Ove Knausgård kennt, wird sich unweigerlich an den Beginn dessen Buchs „Sterben“ erinnert fühlen. Man erschrickt wieder einmal über die Unmittelbarkeit des Tatsächlichen. Schließlich verfügen wir über ein recht ausgeprägtes Instrumentarium des Verdrängens, des Aufschiebens, des Relativierens.
Den Schein wahren. In Aktionismus flüchten.
Auch in Fåvnesheim ist man darin geübt. Man wahrt den Schein. Man flüchtet sich in Aktionismus. In „Ein Hummerleben“ porträtiert das ausgerechnet der jugendliche Enkel der Hoteleigentümer – manchmal kindlich-naiv, manchmal altklug in immer neuen Szenen und Wendungen. Ausgerechnet er, der selbst mehr als nur vom Schicksal gestreift ist: Seine Mutter verschollen, sein Vater nicht mehr existent.
Und am Ende, nach langem Zaudern und Zögern? Ein Inferno. Sozusagen der Kochtopf des Lebens, für uns stoische Hummerexistenzen. Aber das lest Ihr am besten selbst.
Ein Hummerleben
von Erik Fosnes Hansen
(ins Deutsche übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel)
Kiepenheuer&Witsch, 2019, 384 Seiten