Redaktionsbesuch beim „Nordschleswiger“ in Dänemark

Gwyn Nissen Interview KulturSüdtirol

„Der Nordschleswiger“ ist durchaus etwas Besonderes: Die Tageszeitung erscheint im Süden Dänemarks in deutscher Sprache und ist damit eine Minderheitenzeitung in Europa, wie es sie auch hier in Südtirol gibt. Er erschien erstmals am 2. Februar 1946. Seit Dezember 1951 ist „Der Nordschleswiger“ eine Tageszeitung – eine der kleinsten in Dänemark. Und genau 70 Jahre später, am 2. Februar 2021, wird eine Ära zu Ende gehen: Dann erscheint der letzte gedruckte „Nordschleswiger“.

Der 2. Februar wird ohne Frage ein außergewöhnlicher Tag in der Geschichte des „Nordschleswigers“. Die deutsche Tageszeitung in Dänemark wird an diesem Tag 75 Jahre alt und startet in eine rein digitale Zukunft. Trübsal bläst die Redaktion jedoch nicht. Denn für die kleine Zeitung geht es digital und voller Optimismus weiter. KulturSüdtirol hat die Gelegenheit genutzt, um mit Gwyn Nissen, dem Chefredakteur der Zeitung, zu sprechen.

Bild: Der Nordschleswiger

In den besten Jahren hatte die Zeitung eine Auflage von über 4.000 Exemplaren, heute sind es noch 1.100 Abonnenten, die täglich die Papierausgabe erhalten. „Das bereitet der deutschen Minderheit in Dänemark vor allem zwei Probleme: Zum einen fehlt die kritische Masse, und die Druckkosten sind dadurch unverhältnismäßig teuer geworden. Noch gravierender ist allerdings, dass es die Minderheit heute nicht mehr schafft, über ihre Tageszeitung alle Mitglieder zu erreichen. Vor allem die Jüngeren lesen heute keine Zeitung auf Papier mehr – das ist auch in der deutschen Minderheit so“, erläutert Chefredakteur Gwyn Nissen.

Die Digitalisierung einer kleinen Zeitung: Keine Bedrohung, sondern eine Chance.

Er übernahm 2013 nach dem langjährigen Chefredakteur Siegfried Matlok die Leitung des „Nordschleswigers“ mit der Aufgabe, die Digitalisierung des Mediums umzusetzen. „Natürlich werden wir, wie unsere LeserInnen auch, die gedruckte Zeitung vermissen – aber wir wollen der Zeitung nicht nachweinen. Wir sehen die Digitalisierung nicht als eine Bedrohung, sondern vor allem als eine Chance, noch mehr Leute zu erreichen, als es heute der Fall ist. Dass das nicht nur Wunschdenken ist, sehen wir bereits deutlich an unseren Zahlen“, erklärt der Chefredakteur.

Gwyn Nissen, Chefredakteur des „Nordschleswiger“ in seiner Redaktion: Druckerpresse, alte Bleilettern – und die allgegenwärtige Handdesinfektion. Blattmachen zwischen Vergangenheit und (Corona-)Gegenwart…
Bild: Der Nordschleswiger

Mehr Präsenz, mehr Reichweite

Die Webseite www.nordschleswiger.dk hat innerhalb kürzester Zeit 6.000 bis 8.000 tägliche Nutzer, und bei Breaking News sind es schon mal 25.000 bis 30.000 – in Einzelfällen sogar mehr. Bisheriger Höchststand waren 150.000 Seitenaufrufe an einem Tag. Hinzu kommt die Aufmerksamkeit auf diversen sozialen Plattformen.

„In der deutschen Minderheit ist viel darüber diskutiert worden, ob wir ohne Tageszeitung an Präsenz verlieren könnten. Wir können aber feststellen, dass unsere Präsenz und Reichweite dank der digitalen Möglichkeiten nie größer gewesen sind als heute. Das gilt sowohl innerhalb der deutschen Minderheit als auch in der Mehrheitsbevölkerung – und es gilt sowohl nördlich als auch südlich der Grenze“, sagt Gwyn Nissen. 

Nach einer längeren Umstellungsphase freut er sich darüber, dass sich die MitarbeiterInnen des „Nordschleswigers“ ab Februar hundertprozentig auf die digitalen Möglichkeiten konzentrieren können.

Kostenlose digitale Nutzung

Vorläufig erscheint „Der Nordschleswiger“ mit einer 14-tägigen Printausgabe, die mit Nachrichten aus dem Online-Auftritt zusammengestellt wird. Diese Zeitung wird übrigens in Zukunft in der Druckerei der dänischen Minderheitenzeitung, „Flensborg Avis“, in Flensburg gedruckt. Auch ein Novum in der Geschichte des deutsch-dänischen Grenzlandes – und ein Beweis für gute nachbarschaftliche Zusammenarbeit.

„Dieses Angebot mit Nachrichten aus der Minderheit gibt es für die nicht digitalen LeserInnen bei uns im Landesteil“, erklärt Nissen. „Im tagesaktuellen Geschehen gilt unsere ganze Aufmerksamkeit nun aber den digitalen Möglichkeiten, und für alle Nutzer sind die digitalen Angebote über die Webseite oder Apps kostenlos.“

Das Medienhaus des „Nordschleswiger“ in Apenrade / Aabenraa (DK)
Bild: Der Nordschleswiger, CC BY-SA 4.0

Große digitale Nutzungsbereitschaft in Dänemark

Die Digitalisierung des „Nordschleswigers“ ergibt laut Chefredakteur Sinn, zumal 90 Prozent der DänInnen ein Smartphone haben.

„Dänemark verfügt über eine hervorragende digitale Infrastruktur mit mobilen 4G- und 5G-Netzwerken sowie einem hohen Ausbaugrad bei den Glasfaseranschlüssen – vor allem in Süddänemark und auch auf dem Land. Hinzu kommt eine hohe Bereitschaft in der dänischen Bevölkerung, digitale Lösungen zu nutzen – auch unter SeniorInnen. Deshalb ist dieser digitale Schritt überhaupt erst für uns möglich“, berichtet Gwyn Nissen.

Bild: Der Nordschleswiger

Im Gespräch mit KulturSüdtirol betont er ferner: „Die Lage in unserer Grenzregion war – bedingt durch Corona – schon einmal schlimmer. Inzwischen sind wieder alle Grenzübergänge zwischen Deutschland und Dänemark geöffnet. Aber ja, die Zahnräder des Grenzlandes greifen nicht immer perfekt ineinander – das spürt man bei solchen Herausforderungen wie Corona ganz besonders!“

Fakten – „Der Nordschleswiger“

  • „Der Nordschleswiger“ berichtet primär aus und für die deutsche Minderheit in Nordschleswig/Dänemark. Es gibt Redaktionen in Apenrade/Aabenraa (Hauptredaktion), Hadersleben/Haderslev, Sonderburg/Sønderborg, Tondern/Tønder sowie Tingleff/Tinglev. In den drei erstgenannten Orten teilt sich „Der Nordschleswiger“ die Redaktionsräumlichkeiten mit dem dänischen Medienunternehmen Jysk Fynske Medier.
  • „Der Nordschleswiger“ wird nach dem digitalen Übergang etwa 30 MitarbeiterInnen beschäftigen.
  • Neben den Nachrichten auf www.nordschleswiger.dk sowie in den dazugehörigen Apps, liefert „Der Nordschleswiger“ zweimal täglich eine kurze Nachrichtensendung an den Radiosender skala.fm. Außerdem produziert „Der Nordschleswiger“ auf www.grenzgenial.dk digitales Unterrichtsmaterial für den Deutsch-Unterricht an dänischen Schulen. Das Unterrichtsportal wird vom dänischen Kulturministerium gefördert.
  • „Der Nordschleswiger“ erhält jährlich Zuschüsse von der Dachorganisation der deutschen Minderheit, dem Bund Deutscher Nordschleswiger, die diese Mittel von der Bundesrepublik Deutschland bezieht, sowie von der dänischen Medienförderung.

Fakten – die deutsche Minderheit in Dänemark

  • Die deutsche Minderheit in Nordschleswig/Dänemark zählt zwischen 12.000 und 15.000 Mitglieder. Die Minderheit entstand 1920 bei der Grenzziehung zwischen Dänemark und Deutschland, wobei Deutschgesinnte bei der Grenzverschiebung plötzlich zu Dänemark gehörten.
  • Die deutsche Minderheit betreibt neben dem Medienhaus „Der Nordschleswiger“ unter anderem 20 Kindergärten, 15 Schulen, Büchereien, Sport- und Rudervereine, ein Museum, eine Sporthalle, einen Landwirtschaftsverein sowie soziale und kulturelle Aktivitäten. Mehr dazu unter www.bdn.dk und www.nordschleswig.dk