Leben wo andere Urlaub machen. Für Kastelruth trifft dieser Satz ganz bestimmt zu. Der Ort im Schlerngebiet kann auf eine lange und bewegte Geschichte zurückblicken. Spuren einer ersten Besiedlung führen in die späte Bronzezeit. Später haben Adelsfamilien den Ort geprägt, unter anderem mit den historischen Bauten, die noch heute von ihnen erzählen. Doch auch hier im Urlaubsgebiet endet nicht jede Geschichte mit einem Happy End.
Ein wahres Postkartenmotiv
Der freistehende, ganze 82 Meter hohe Kirchturm mit der barocken Zwiebelhaube beherrscht das Ortsbild von Kastelruth. Selbstbewusst scheint er dem massigen Schlernmotiv im Hintergrund zu trotzen. Erbaut wurde er in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, nachdem ein verheerender Brand am 24. Mai 1753 weite Teile des Dorfes in Schutt und Asche gelegt hatte.
Dass man sich an diesem Ort einen so imposanten Turm wahrlich leisten konnte, das bestätigt der Blick auf die historischen Gebäude, die noch heute den Dorfplatz rahmen.
Zu nennen ist das Lächlerhaus, das viele vielleicht noch als Raiffeisenhaus kennen. Heute beherbergt es nach einer umfassende Sanierung ein Trachtenmuseum. Die Familie der Lächler hatte bereits im Mittelalter die Funktion der Richter inne. Rund 250 Jahre lang bewohnten sie das Gebäude, bis es Christoph Kraus zu Krausegg im Jahr 1630 erwarb.
Die Krausen: ein Kastelruther Adelsgeschlecht mit ungarischen Wurzeln
Im Jahr 1556 kam ein junger und mittelloser Edelmann nach Kastelruth: Michael Fodor von Sala. Er entstammte dem ungarischen Landadel und wurde als Wolkensteinischer Pfleger ins Schlerngebiet berufen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1588 übte er dieses Amt aus. Da seine Ehe mit einer Südtiroler Adeligen kinderlos geblieben war, holte er zwei Verwandte aus Ungarn nach Kastelruth – die Stammväter des späteren Kastelruther Adelsgeschlechtes der Krausen.
Michaels Neffe Jacob erbaute zwischen 1603 und 1607 an Stelle des früheren Stueter- und Saffranhofes den Ansitz Krausegg – das heutige Rathaus. Dieses Gebäude ist wahrlich platzbestimmend. Es schließt den Dorfplatz zum Kofel hin ab. An einer Seite grenzt es an das schon genannte Lächlerhaus.
Die Geschichte der Familie Kraus ist zunächst eine wahre Erfolgsgeschichte, die vom sozialen Aufstieg und dem Erblühen eines Tiroler Adelsgeschlechts handelt. Doch im 18. Jahrhundert blieb ihr wirtschaftlicher Niedergang nicht aus. Dies führte so weit, dass für den Erstgeborenen Jakob Kajetan von Kraus schlichtweg die finanziellen Mittel für ein herrschaftliches Leben und eine standesgemäße Ehe fehlten. Wohl aus Verzweiflung schlich er in einer finsteren Nacht im Oktober 1784 aus Kastelruth fort und wurde nie wieder gesehen.
Mehr als 1000 Jahre Geschichte
Nicht nur das Schicksal dieses Krausen ist bis heute ungeklärt. Auch die frühere Geschichte von Kastelruth gibt den Historikern nach wie vor Rätsel auf.
Die älteste schriftliche Erwähnung von Kastelruth und Seis findet sich in einer Urkunde aus den Jahren 982-988, die einen Tauschvertrag zwischen Bischof Eticho von Augsburg und Bischof Albuin von Brixen dokumentiert. Von „de loco Siusis“ (Seis) und „de loco Castellorupto“ (Kastelruth) ist hier die Rede. Diese „gebrochene Burg“, also gewaltsam zerstörte Burg, lag – so vermuten Historiker – nicht direkt im heutigen Ort, sondern auf dem dahinterliegenden Hügel, dem Kofel. Wann und warum sie zerstört wurde, lässt sich nicht eindeutig sagen. Möglicherweise war sie eine Festung der Langobarden, die im 7. Jahrhundert von den Bajuwaren bei deren Vorstoß Richtung Süden zerstört wurde.
Dass der Kofel von Kastelruth schon sehr früh bewohnt war, belegen Keramikfunde der späteren Bronzezeit (ca. 1700 bis 1300 v. Chr.). Der bedeutendste archäologische Fund vom Kofel ist ein eiserner Helm aus dem 4./.3 Jh. v. Chr. Er befindet sich heute in den Sammlungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum in Innsbruck.